Erstellt am: 11.11.2020
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Kategorie: News
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Bundesgericht : Bundesgericht: 5A_311/2019

Kindesunterhalt: Berechnung 2-stufig nach vereinheitlichten Regeln

E. 5.4. "Der Umfang des gebührenden Unterhalts richtet sich nach mehreren Kriterien. (...) Der gebührende Unterhalt des Kindes ist somit (wie der gebührende eheliche und nacheheliche Unterhalt) eine von den konkreten Mitteln abhängige dynamische Grösse, indem auch es von einer überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit profitieren und an einer gehobenen Lebensstellung der Eltern teilhaben soll."

E. 5.5. "Steht das Kind unter der alleinigen Obhut des einen Elternteils, indem es in dessen Haushalt lebt und den anderen Elternteil nur im Rahmen des Besuchs- und Ferienrechts sieht, so leistet der obhutsberechtigte Elternteil seinen Unterhaltsbeitrag bereits vollständig in natura, indem er dem Kind Pflege und Erziehung erweist (sog. Naturalunterhalt). Diesfalls fällt der Geldunterhalt vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeit von Geld- und (...) vom Grundsatz her vollständig dem anderen Elternteil anheim, wobei in bestimmten Konstellationen ein Abweichen vom Grundsatz geboten ist (...). 

Steht das Kind hingegen unter der alternierenden Obhut der Elternteile, so sind die finanziellen Lasten bei ähnlicher Leistungsfähigkeit umgekehrt proportional zu den Betreuungsanteilen zu tragen (...), bei je hälftigen Betreuungsanteilen proportional zur Leistungsfähigkeit (...) und bei gleichzeitig asymmetrischen Betreuungsumfang und Leistungsgefälle entsprechend der sich daraus ergebenden Matrix, wobei es sich dabei nicht um eine rein rechnerische Operation handelt, sondern die vorgenannten Grundsätze in Ausübung von Ermessen umzusetzen sind (...).

Sind beide Eltern obhutsberechtigt, ist die Norm so zu verstehen, dass die Unterhaltspflicht durch Leistung an den jeweils anderen Elternteil erfüllt wird (...). "

E. 7. "Schliesslich werden die vorhandenen Ressourcen auf die beteiligten Familienmitglieder dahingehend verteilt, dass in einer bestimmten Reihenfolge das betreibungsrechtliche bzw. bei genügenden Mitteln das sog. familienrechtliche Existenzminimum der Beteiligten gedeckt und alsdann ein verbleibender Überschuss nach der konkreten Situation ermessensweise verteilt wird; beim daraus resultierenden Unterhaltsbeitrag sind insbesondere auch die Betreuungsverhältnisse zu berücksichtigen (...). 

E. 7.1. "Eine Individualisierung aufgrund spezieller Situationen wie etwa eine "Vorabzuteilung für überobligatorische Arbeitsanstrengung" (...) ist abzulehnen."

E. 7.2. "Bei der  Bedarfsermittlung bzw. der Ermittlung des gebührenden Unterhalts bilden die "Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums" (zuletzt veröffentlicht in: BlSchK 2009, S. 193 ff.) den Ausgangspunkt, wobei in Abweichung davon für jedes Kind ein (bei den Wohnkosten des Obhutsinhabers abzuziehender) Wohnkostenanteil einzusetzen ist und im Übrigen auch die Fremdbetreuungskosten zu berücksichtigen sind. Diese beiden Positionen sowie die in den Richtlinien genannten Zuschläge (relevant für das Kind: Krankenkassenprämien, Schulkosten, besondere Gesundheitskosten) sind zum Grundbetrag hinzuzurechnen.  

Bei knappen Verhältnissen muss es für den Barunterhalt dabei sein Bewenden haben und auch ein allfälliger Betreuungsunterhalt ist auf der Basis des betreibungsrechtlichen Existenzminimums des betreuenden Elternteils zu bestimmen. (...) Soweit es die finanziellen Mittel zulassen, ist jedoch der gebührende Unterhalt zwingend auf das sog. familienrechtliche Existenzminimum zu erweitern, auf welches diesfalls Anspruch besteht (...). 

Bei den Elternteilen gehören hierzu typischerweise die Steuern, ferner eine Kommunikations- und Versicherungspauschale, unumgängliche Weiterbildungskosten, den finanziellen Verhältnissen entsprechende statt am betreibungsrechtlichen Existenzminimum orientierte Wohnkosten, Kosten zur Ausübung des Besuchsrechts und allenfalls angemessene Schuldentilgung; bei gehobeneren Verhältnissen können namentlich auch über die obligatorische Grundversicherung hinausgehende Krankenkassenprämien und allenfalls private Vorsorgeaufwendungen von Selbständigerwerbenden im Bedarf berücksichtigt werden (...). 

Beim Barbedarf des Kindes gehören zum familienrechtlichen Existenzminimum namentlich die Ausscheidung eines Steueranteiles (...), ein den konkreten finanziellen Verhältnissen entsprechender Wohnkostenanteil und gegebenenfalls über die obligatorische Grundversicherung hinausgehende Krankenkassenprämien. 

Ein unzulässiger Mix (...) wäre hingegen die (...) Vervielfachung des Grundbetrages oder die Berücksichtigung von Zusatzpositionen wie Reisen, Hobbys, u.ä.m.; solcher Lebensbedarf ist vielmehr aus dem Überschussanteil zu finanzieren (...). 

Soweit nach allseitiger Deckung des familienrechtlichen Existenzminimums Ressourcen verbleiben (sog. Überschuss), kann der Barbedarf des Kindes bzw. der hierfür zu verwendende Unterhaltsbeitrag durch Zuweisung eines Überschussanteils weiter erhöht werden (dazu E. 7.3). Der Betreuungsunterhalt bleibt hingegen auch bei überdurchschnittlichen Verhältnissen auf das familienrechtliche Existenzminimum beschränkt ...). Gleiches gilt im Übrigen für den Volljährigenunterhalt; dieser ist ebenfalls maximal auf das familienrechtliche Existenzminimum (einschliesslich der Ausbildungskosten) begrenzt (...)."

E.7.3. "(...) ergibt sich aus Gesetz und Rechtsprechung folgende Reihenfolge: Zuerst ist der Barunterhalt der minderjährigen Kinder und im Anschluss der Betreuungsunterhalt (BGE 144 III 481 E. 4.3 S. 489), sodann allfälliger (nach-) ehelicher Unterhalt (Art. 276a Abs. 1 ZGB) und abschliessend der Volljährigenunterhalt zu decken (BGE 132 III 209 E. 2.3 S. 211). Am Grundsatz, wonach Letzterer nachgeht, ändert auch der neue Art. 276a Abs. 2 ZGB nichts (BGE 146 III 169 E. 4.2 S. 172 ff.). 

Anzufügen bleibt, dass mit dem Erreichen der Volljährigkeit sämtliche Erziehungs- und Betreuungspflichten der Eltern wegfallen und deshalb der auf Art. 277 Abs. 2 ZGB gestützte Unterhalt für das volljährige Kind von beiden Elternteilen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in Geld zu erbringen ist (...). 

Erst wenn das betreibungsrechtliche Existenzminimum aller Berechtigten gedeckt ist, kann es darum gehen, verbleibende Ressourcen in eine erweiterte Bedarfsrechnung aufzunehmen und auf das - entsprechend dem dynamischen Begriff des gebührenden Unterhalts je nach finanziellen Verhältnissen enger oder weiter bemessene (dazu E. 7.2) - familienrechtliche Existenzminimum aufzustocken, wobei die verschiedenen Unterhaltskategorien in der genannten Reihenfolge (Barunterhalt, Betreuungsunterhalt, ehelicher oder nachehelicher Unterhalt) aufzufüllen sind und etappenweise vorzugehen ist (...).

Eine nachgewiesene Sparquote (...) ist vom Überschuss abzuziehen."

E. 8.5. "Es wäre etwas künstlich, für die Zeit ab der Volljährigkeit von C.________ beide Elternteile - konsequenterweise müsste dies nämlich nach Auslaufen des Obhutsverhältnisses auch für den Vater geschehen - bereits heute zu konkreten Unterhaltsbeiträgen zu verpflichten, umso mehr als sich dem angefochtenen Entscheid in Bezug auf die mutmassliche Situation in der angesprochenen Zukunft nichts entnehmen lässt. Es scheint deshalb in der vorliegenden spezifischen Konstellation naheliegender, dass die Eltern und das Kind sich bei dessen Volljährigkeit entsprechend der dannzumaligen und für die weitere Zeit absehbaren Wohn- und Ausbildungssituation neu über die Tragung des Unterhalts verständigen, wobei das Verhältnis der in jenem Zeitpunkt gegebenen elterlichen Überschüsse ein naheliegender Ausgangspunkt sein wird."

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