Erstellt am: 14.06.2023
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Kategorie: News
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Bundesgericht : 5A_349/2022

Anerkennung eines ausländischen Urteils (Erwachsenenschutz)

“Umstritten ist die Anerkennung des Entscheids des Bezirksgerichts Limassol vom 2. März 2021 in der Schweiz, mit dem der Betroffene für unmündig erklärt und der Beschwerdeführer zum Vermögensverwalter ernannt worden ist (vgl. vorne Bst. A.a). Diese Anerkennung richtet sich nach dem Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, HEsÜ; SR 0.211.232.1), dem sowohl die Schweiz als auch Zypern beigetreten sind (vgl. auch Art. 85 Abs. 2 IRPG [SR 291]).  

Das Obergericht verweigerte die Anerkennung zusammengefasst, weil der Beschwerdeführer den Betroffenen im Anerkennungsgesuch nicht als Gegenpartei ins Recht gefasst hat. Die von einer Erwachsenenschutzmassnahme betroffene Person sei in das Verfahren um Anerkennung der Massnahme einzubeziehen und müsse dort die Möglichkeit erhalten, allfällige Verweigerungsgründe geltend zu machen. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Wesen des Anerkennungsverfahrens sondern auch aus Art. 29 Abs. 2 IPRG, der zumindest kraft der Verweisung in Art. 23 HEsÜ und Art. 31 IPRG anwendbar sei. Das Anerkennungsverfahren sei daher kontradiktorisch zu führen und die betroffene Person als Partei in dieses einzubeziehen, was vorliegend nicht geschehen sei. 

Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, hierdurch Art. 22 Abs. 1, Art. 23 und 26 HEsÜ sowie Art. 31 IPRG zu verletzen. Mit der Erwachsenenschutzmassnahme liege in der Hauptsache eine Massnahme der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach Art. 31 IPRG vor. Deren Anerkennung erfolge entgegen der Vorinstanz in einem nichtstreitigen Verfahren und ohne Einbindung der betroffenen Person. 

Nach Art. 22 Abs. 1 HEsÜ werden die von den Behörden eines Vertragsstaates getroffenen Massnahmen kraft Gesetzes in den anderen Vertragsstaaten anerkannt. Anerkennung kraft Gesetzes bedeutet, dass sie erlangt wird, ohne dass ein Rückgriff auf ein Verfahren erforderlich wäre, zumindest solange, wie derjenige, der sich auf die Massnahme beruft, keine Vollstreckungshandlung dafür beantragt (Art. 25 HEsÜ).  

Die Anerkennung kann nur aus den in Art. 22 Abs. 2 HEsÜ genannten - hauptsächlich formellen - Gründen versagt werden. Sie hat die Massnahme zum Gegenstand, so wie sie in dem Vertragsstaat, in dem sie getroffen wurde, besteht. Unter Vorbehalt von Art. 22 Abs. 2 Bst. c HEsÜ (ordre public-Widrigkeit oder Verstoss gegen im Anerkennungsstaat zwingendes Recht) ist eine inhaltliche Überprüfung der angeordneten Massnahme durch die Anerkennungsbehörde ausgeschlossen (vgl. Art. 26 HEsÜ). Dies gilt auch im Verfahren der selbständigen Anerkennung nach Art. 23 HEsÜ (LAGARDE, a.a.O., Rz 124; GUILLAUME, a.a.O., N. 116 zum HEsÜ).  

Mit dem anzuerkennenden Entscheid hat das Bezirksgericht Limassol den Betroffenen mit Bezug auf sein Vermögen für unmündig erklärt und den Beschwerdeführer als Vertreter eingesetzt. Eine ähnliche Möglichkeit besteht auch unter schweizerischem Recht (vgl. Art. 395 ZGB). Der materielle ordre public der Schweiz ist damit nicht betroffen (zum Grundsatz des odre public-Vorbehalts vgl. BGE 142 III 180 E. 3.2; 126 III 534 E. 2c; 125 III 443 E. 3d). 

Das Verfahren der selbständigen Anerkennung bestimmt sich gemäss Art. 23 Abs. 1 2. Satz HEsÜ nach dem Recht des ersuchten Staates, vorliegend der Schweiz. Anwendbar sind damit die Regelungen des IPRG (Art. 1 Abs. 1 Bst. c IPRG; vgl. DÄPPEN/MABILLARD, Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 2 zu Art. 29 IPRG; FÜLLEMANN, a.a.O., S. 246 Rz. 380). Das IPRG unterscheidet zwischen der Anerkennung von Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 31 IPRG) und solchen der strittigen Gerichtsbarkeit (Art. 29 IPRG). Ob es sich beim anzuerkennenden Akt um einen solchen der freiwilligen oder der streitigen Gerichtsbarkeit handelt, entscheidet sich nach schweizerischem Recht (DÄPPEN/MABILLARD, a.a.O., N. 4 zu Art. 31 IPRG; MÜLLER-CHEN, Zürcher Kommentar zum IPRG, 3. Aufl. 2018, N. 6 zu Art. 31 IPRG; SCHRAMM/BUHR, Handkommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 3. Aufl. 2016, N. 5 zu Art. 31 IPRG). Die vorliegend anzuerkennende Erwachsenenschutzmassnahme betrifft nur eine Partei und wurde in einem hoheitlich geprägten Verfahren ausgesprochen (vgl. für die Schweiz Art. 443 ff. ZGB; Urteil 2C_1011/2021 vom 31. Oktober 2022 E. 4.5). Sie ist der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen (DÄPPEN/MABILLARD, a.a.O., N. 2 f. zu Art. 31 IPRG; MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 7 und 11 zu Art. 31 IPRG; vgl. auch BGE 136 III 178 E. 5.2; Urteil 5A_787/2020 vom 7. Juni 2021 E. 1.2.1).  

Gemäss Art. 31 IPRG gelten für die Anerkennung von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Art. 25-29 IPRG sinngemäss (vgl. Urteil 4A_600/2018 vom 1. April 2019 E. 3.1.2). "Sinngemäss" bedeutet, dass die genannten Bestimmungen, namentlich aber Art. 29 Abs. 2 IPRG, bei der Anerkennung von Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur insoweit Anwendung finden, als dies im Einzelfall sinnvoll ist (Urteil 5P.233/1993 vom 17. Juni 1994 E. 2b a.E.; SCHRAMM/BUHR, a.a.O., N. 7 zu Art. 31 IPRG; vgl. auch MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 23 zu Art. 31 IPRG).  

Im Anerkennungsverfahren ist die Partei, die sich dem Begehren widersetzt anzuhören; sie kann ihre Beweismittel geltend machen (Art. 29 Abs. 2 IPRG). Daraus leiten Rechtsprechung und Lehre die Pflicht ab, das Anerkennungsverfahren betreffend Akte der streitigen Gerichtsbarkeit kontradiktorisch zu führen (BGE 146 III 247 E. 4.1.3.1; 142 III 180 E. 3.5; BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, Rz 6 zu Art. 29 IPRG). Art. 29 Abs. 2 IPRG stellt also sicher, dass der sich der Anerkennung widersetzenden Partei im Anerkennungsverfahren das rechtliche Gehör gewährt wird (Urteil 5A_925/2021 vom 2. März 2023 E. 3.2.1, zur Publikation bestimmt; DÄPPEN/MABILLARD, a.a.O., N. 26 zu Art. 29 IPRG; MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 3 zu Art. 29 IPRG; SCHRAMM/BUHR, a.a.O., N. 9 zu Art. 29 IPRG).  

Die vorliegende Angelegenheit weist folgende Besonderheiten auf: Wie sich aus dem Begriff der Erwachsenenschutzmassnahme ergibt, geht es bei der streitgegenständlichen Massnahme um eine solche, die dem Schutz des Betroffenen dient. Das Bezirksgericht Limassol hat den Beschwerdeführer mit Bezug auf das Vermögen des Betroffenen als dessen (gesetzlicher) Vertreter eingesetzt, und ihn beauftragt, innerhalb von einer Frist von 30 Tagen eine Bestandesaufnahme des Vermögens des Betroffenen zu erstellen und dem Gericht einzureichen. Sodann verbot es jenem, ohne vorherige Erlaubnis des Gerichts das Immobilienvermögen zu veräussern, zu tauschen, zu übertragen, hypothekarisch zu belasten oder anderswie darüber zu verfügen; es erlaubte dem Beschwerdeführer hinsichtlich des (Bar) Vermögens lediglich Ausgaben und Belastungen zu tätigen, die zur Versorgung und zum Nutzen des Betroffenen dienen. Insofern sind die Interessen des Beschwerdeführers und des Betroffenen nicht gegenläufig; von einem klassischen Zweiparteienverfahren kann keine Rede sein. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich sodann entnehmen, dass der Betroffene an einem fortgeschrittenen Hirnschwund bzw. einer zerebralen Hirnatrophie leidet und seine kognitive Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt ist. Auf dieser Grundlage hat das Bezirksgericht Limassol mit dem Entscheid vom 2. März 2021 dem Betroffenen zumindest mit Bezug auf die Vermögensverwaltung die Urteilsfähigkeit abgesprochen und ihn für unmündig erklärt. Diese Beurteilung darf im Anerkennungsverfahren nicht überprüft werden (vgl. E. 3.4 hiervor).  

Unter diesen Umständen erscheint es entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht als sachgerecht, den Betroffenen zwingend als Partei in das Anerkennungsverfahren einbeziehen zu wollen. Daher konnte es die Anerkennung des Entscheids vom 2. März 2021 nicht ohne Rechtsverletzung allein deshalb verweigern, weil dieser nicht als Partei in das Anerkennungsverfahren einbezogen wurde. Die Beschwerde erweist sich insoweit als begründet und es erübrigt sich auf die (eventuellen) Ausführungen des Beschwerdeführers für den gegenteiligen Fall einzugehen.”  

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