Erstellt am: 25.06.2023
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Kategorie: News
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Bundesgericht : 2C_828/2022

Familiennachzug zu einer Schweizer Bürgerin – Zustimmungsverfahren nicht zwingend

“Die Vorinstanz hat die Frage der Sozialhilfeabhängigkeit des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 86 Abs. 2 lit. a VZAE in Anwendung von Art. 62 Abs. 1 lit. e AIG geprüft (vgl. E. 3.2 des Urteils). Dies ist offensichtlich nicht korrekt (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG; E. 2.1 hiervor): Für Konstellationen wie die vorliegende - Familiennachzug zu einer Schweizer Bürgerin gestützt auf Art. 42 Abs. 1 AIG - ist das Zustimmungsverfahren grundsätzlich nicht und vor allem nicht zwingend vorgesehen, da sie nicht von Art. 85 Abs. 2 VZAE, welcher in Ausführung von Art. 30 Abs. 1 und Art. 99 AIG den Kreis der zustimmungspflichtigen Bewilligungen und Vorentscheide festlegt, erfasst wird. Das Erfordernis einer Zustimmung des SEM kann sich jedoch daraus ergeben, dass der betreffende Kanton gestützt auf Art. 85 Abs. 3 VZAE das Zustimmungsverfahren einleitet (vgl. auch Art. 99 Abs. 1 AIG; zum Zustimmungsverfahren vgl. BGE 141 II 169 E. 4.3.1. und 4.3.2 sowie 143 II 1).  

Die Einleitung des Zustimmungsverfahrens führt jedoch nicht, wie dies die Vorinstanz annimmt, dazu, dass die Schwelle zur Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 86 Abs. 2 lit. a VZAE (i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. e AIG) tiefer liegt als im kantonalen Verfahren, in welchem Art. 63 Abs. 1 lit. c AIG zur Anwendung kommt. Der Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung nach Art. 42 AIG erlöscht bzw. ergibt sich gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. b AIG nicht, wenn ein Widerrufsgrund im Sinne von Art. 63 AIG vorliegt. Damit ist der Widerrufsgrund ("dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen") auf Gesetzesstufe festgelegt. Diese gesetzlich festgelegte Schwelle für eine allfällige Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung gilt sowohl für das kantonale Verfahren wie auch das Zustimmungsverfahren beim SEM bzw. das anschliessende Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Entsprechend ist - anders als von der Vorinstanz erfolgt - die Sozialhilfeabhängigkeit des Beschwerdeführers nach Art. 63 Abs. 1 lit. c AIG zu beurteilen (dazu E. 4.1 hiervor). 

 Auch wenn ein Widerrufsgrund vorliegt, muss sich die Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung als verhältnismässig erweisen (vgl. E. 4.1 und 4.2 hiervor; Urteil 2C_819/2021 vom 12. Mai 2022 E. 5.1). Landesrechtlich wie konventionsrechtlich sind bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit im Sinne von Art. 96 Abs. 1 AIG und Art. 8 Ziff. 2 EMRK namentlich ein mögliches Verschulden an der Sozialhilfeabhängigkeit des Betroffenen, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 139 I 16 E. 2.2.1). Keines dieser Elemente ist für sich allein ausschlaggebend; erforderlich ist eine Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall (vgl. Urteile 2C_668/2021 vom 20. Dezember 2021 E. 6.3; 2C_998/2020 vom 3. Juni 2021 E. 3.4).”

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